* 20. Juli 1949
von Hella Melkert Hanns-Werner Heister Björn Gottstein
Essay
Die ersten überlieferten Partituren Gerhard Stäblers sind von den Erfahrungen mit der experimentierenden Avantgarde der ausgehenden 1960er-Jahre geprägt. Nicht nur seine Lehrer Gerd Zacher und Nicolaus A. Huber trugen zum kompositorischen Selbstverständnis des jungen Stäbler bei, sondern auch die Exponenten des deutschen Fluxus (u.a. Dieter Schnebel), die einsetzende Cage-Rezeption (mit dem Stäbler wiederholt zusammentraf) und das Auftreten im Ensemble »musica negativa«. Aus dieser Zeit stammen Stücke wie MO–PED (1970/71) in der auch heute noch schockierenden Besetzung für Orgel und Motorrad oder die »fünfmalige Kammermusik« Dämpfe. (1968/70), die u.a. Geruchsmusik […] mit Zwiebel-, Kaffee- und Gewürzdüften enthält. (Geruch ist eine Werkdimension, die für Stäbler bis heute ihre Gültigkeit behalten hat.) Die ersten Ergebnisse einer intensiven, aber auch – zunehmend – kritischen Auseinandersetzung mit John Cage sind Gehörsmassage. Für tätiges Publikum (1973) und CAGE–MIX. Arrangement mit Tierstimmen (1973/74).
Das Stück »drüber …«, das inoffizielle Opus 1, hat Stäbler mit Violoncello, Synthesizer, Tonband und »acht aktiven Schreiern« besetzt (1972/73). Der Schrei ist hier v.a. Protestschrei gegen Unterdrückung und Unrecht; er wird von einem Klagechoral Leo Haßlers (1564–1612) grundiert und erhält dadurch eine historische Tiefendimension. Der Schrei ist radikal ...